Cochlea-Implantat-Versorgung im Umbruch
Drei Tage voller Begegnungen, bewegender Vorträge und fachlicher Tiefe: Vom 16. bis 18. Mai 2025 fand die 9. Fachtagung der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft (DCIG) in Stuttgart statt – zum zweiten Mal nach 14 Jahren.
Drei Tage lang drehte sich alles um Technik, Teilhabe und das, was zwischen den Tönen liegt – barrierearm mit Höranlage und Schriftdolmetschung. Wer hierherkommt, weiß: Hören ist keine Selbstverständlichkeit. Und: Man ist nicht allein.
Sonja Ohligmacher und Rainer Pomplitz, Vorsitzende des CIV BaWü̈, begrüßten die Gäste gemeinsam mit DCIG-Präsident und Tagungsleiter Dr. Roland Zeh. „Wir wollen sensibilisieren und den Austausch zwischen Experten, Selbsthilfe und Betroffenen fördern“, erklärte Pomplitz. Unter dem Motto „CI-Versorgung im Umbruch“ wurde die Rolle der Selbsthilfe deutlich in den Mittelpunkt gerückt. „Viele Fachtagungen sprechen über CI – ohne zu wissen, was Schwerhörigkeit emotional bedeutet. Hier ist die Selbsthilfe gefragt“, sagte Zeh.
Austausch und Beratung
Eine begleitende Fachausstellung informierte über Neuerungen und Angebote: Advanced Bionics, Med-El und Cochlear, Auric, Iffland und Meditrend sowie Bajula, Humantechnik und Wagenknecht präsentierten ihre Dienstleistungen und Produkte. Auch Rehaeinrichtungen wie die Median Kaiserberg Klinik und die Mediclin Bosenberg Klinik waren vertreten und standen für direkte Fragen und Beratung zur Verfügung.
Zum Auftakt gab DCIG-Geschäftsführerin Ulrike Berger einen humorvollen Einblick in das „Land der Tüftler und Käpsele“. Baden- Württemberg, Heimat von Erfindungen wie dem Automobil, dem Fahrrad und Spaghettieis, steht für Innovationen – ein passender Einstieg in die fünf Themenblöcke der Tagung.
1. Qualitätssicherung im Gesundheitswesen
Dr. Assen Koitschev stellte die Fortschritte beim nationalen CI-Register und dem Zertifizierungsprogramm CIVE vor. Ziel ist die Qualitätssicherung in der Versorgung. Das Register ermöglicht Kliniken, ihre Daten mit Durchschnittswerten zu vergleichen, bietet objektive Daten über die Versorgungsqualität und liefert Argumente für gesundheitspolitische Entscheidungen, etwa zur Sicherung der Kapazitäten. Ein Problem bleibt: Daten können nicht zwischen Kliniken übertragen werden, wenn Patienten den Ort wechseln.
Mitreißend erklärte Marion Hölterhoff, warum Selbsthilfe politisch wirksam ist. Je mehr Probleme das Gesundheitssystem hat, desto wichtiger wird die Selbsthilfe, sagte Marion Hölterhoff, Vorsitzende des CIV NRW. Als eines der Beispiele erfolgreicher Selbsthilfearbeit nannte Hölterhoff den Einsatz im Rahmen der Krankenhausreform in NRW. Hier konnte sowohl eine genauere Definition der Leistungsgruppe CI erwirkt werden als auch der Erhalt von CI-versorgenden Kliniken, denen laut Bedarfsplanung die Leistungsgruppe entzogen werden sollte. Hölterhoff rief dazu auf, Mitglied zu werden: „16.000 CI-Träger in NRW, aber nur 600 Mitglieder – das sind Wählerstimmen, die gehört werden. “
„You are an amazing group“, so die britische Referentin Sue Archbold. Sie berichtete über das globale CIICA-Netzwerk, das sich für nachhaltige CI-Versorgung weltweit einsetzt. Von Uganda bis Großbritannien – Herausforderungen gibt es überall. Ihr Appell: „Wir wissen, das CI wirkt. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Menschen Zugang bekommen – und lebenslange Unterstützung.“
Wie wichtig persönlicher Austausch über Grenzen hinweg ist, zeigten auch Maria Trinks, Jan Röhrig, Caro und Nick mit dem Projekt „CI outside in Georgien“. Die Begegnungsreise brachte junge CI-tragende Menschen aus Deutschland und Georgien zusammen (siehe auch Schnecke 126 und Schnecke-Online). Das Projekt wurde zusammen mit Frankfurter Empowerment-Angebot „Ohrenstark“ mit dem DCIG-Selbsthilfepreis ausgezeichnet (siehe S. 69).
2. Medizinische Behandlungsansätze
Am zweiten Tag standen neue Forschungs- und Behandlungsansätze im Mittelpunkt. Prof. Hubert Löwenheim vom Universitätsklinikum Tübingern betonte die Bedeutung genetischer Diagnostik, um Ursachen und Prognosen zu klären. Für die Otof-Schwerhörigkeit wird in Tübingen derzeit die neue Gentherapie getestet. Erste Ergebnisse soll es in drei bis sechs Monaten geben. Prof. Nicola Strenzke aus Göttingen wies auf den Mangel an Medikamenten gegen Innenohrschwerhörigkeit hin. Gerade für die Behandlung von Hörsturz und Morbus Menière gebe es einen großen Bedarf. Studien zu neuen Wirkstoffen wie Ebselen und AC102 laufen, nachdem die groß angelegte Hodokort-Studie unter Prof. Stefan Plontke den Einsatz von Kortison in Frage stellte. Prof. Anke Lesinski-Schiedat aus Hannover warf den Blick nach vorne: individuelle Elektroden, biohybride Implantate, Roboter-OPs, Stammzellenforschung. Sie sieht noch viel Potenzial in der Hörversorgung, etwa durch Elektroden, die Medikamente abgeben.
Prof. Antje Aschendorff aus Freiburg betonte, dass die individuelle Situation über die Therapie entscheide. Bei Fehlbildungen der Hörschnecke hänge das Ergebnis von der Komplexität der Fehlbildung ab. Aber auch bei einem normalen Befund könne die OP zur Herausforderung werden. Neben Technik, Kontrolle, Qualitätsbewusstsein und Reflexion brauche es vor allem Übung. Zum Einsatz von robotischer Assistenz sagte sie: Bei einer langsamen, restgehörerhaltenden Insertion komme man an die Grenzen des menschlich Machbaren. „Dafür brauche ich einen Roboterarm“, so Aschendorff. „Aber wenn ich am Fazialis vorbeibohre, da bin ich vielleicht besser als ein Roboter.“ Visueller Höhepunkt war die berührende Ausstellung „Ein neues Gehör für Linda“ von Jannis Schubert. Für Schubert, selbst CI-Träger, war das ein sehr persönliches Projekt. Seine Bilder, ausgestellt im Vortragsraum, und die Geschichte dahinter bewegten die Teilnehmer.
3. Bimodale Versorgung und einseitige Taubheit
Der Block zu einseitiger Taubheit zeigte, wie wichtig binaurales Hören ist. Lehrerin Anja Bernoth berichtete, wie das CI ihr Leben veränderte: „Ich bekam meine linke Kopfhälfte wieder angeschaltet. “ Sie setzt sich dafür ein, dass die Herausforderungen einseitig ertaubter Menschen ernst genommen werden. Bei der DCIG ist sie eine von neun regionalen Ansprechpartnern für das Thema SSD (Single-Sided Deafness).
Dr. Iva Speck und Prof. Susan Arndt aus Freiburg zeigten, wie komplex das Thema ist – von der Hirnplastizität über die Reorganisation der Hörbahn bis zur Erfolgsprognose eines CI. Bei einseitig ertaubten Kindern ist vor allem die Diagnostik erschwert. Eine frühzeitige Versorgung sei jedoch wichtig, sagte Dr. Christiane Koitschev aus Stuttgart. „Studien zeigen, dass einseitig ertaubte Kinder erhebliche Nachteile haben.“ Bei bimodaler Versorgung, also der Kombination von CI und Hörgerät, liegt die Herausforderung in der Abstimmung beider Systeme. Prof. Stefan Zirn aus Oldenburg berichtete von Fortschritten, die das Richtungshören verbessern.
4. Rehabilitation und Nachsorge
Viel diskutiert wurde die Anschlussheilbehandlung (AHB) und deren Herausforderungen. Dr. Silke Helbig stellte erste Studien vor: Eine frühzeitige Reha bringt keine Nachteile – im Gegenteil. Die Wiedereingliederung in Alltag und Beruf kann früher erfolgen, zudem sei der Beantragungsprozess gegenüber der stationären CI-Reha im Standardprozedere vereinfacht.
Dr. Yvonne Seebens vom CIC Rhein-Main und der Arbeitsgemeinschaft CI-Rehabilitation ACIR warnte vor Problemen bei der Finanzierung der Folgetherapie, die mit der Einführung der AHB aufkämen. Krankenkassen würden zum Teil Anträge direkt an die Deutsche Rentenversicherung weiterleiten. „Wir sehen gerade für Berufstätige die Gefahr des Verlusts des Wahlrechts.“
Im Umbruch ist auch die Nachsorge: Remote-Care-Optionen ermöglichen je nach Anbieter verschiedene Möglichkeiten der Fernkontrolle und Fernanpassung. An der Uniklinik Würzburg läuft derzeit eine Studie zur digitalen Nachsorge. Erste Rückmeldungen der CI-Techniker und -Therapeuten: Manche Teilnehmer benötigen eine intensive Anleitung bei der Handhabung. Nässt die Narbe oder stimmt die Magnetstärke nicht, bedarf es einer Vorstellung in der Klinik. Die Meinung von Referentin PD Dr. Anja Kurz: zu den Jahresterminen ist die Remote-Nachsorge ideal, aber nicht in den ersten sechs bis zwölf Monaten nach der OP.
5. Leben mit CI
Audiotherapeutin Claudia Dreher zeigte, wie Hörstress das Hören beeinflusst. Ihr Rat: Wahrnehmungen bewusst einordnen, um Stress zu reduzieren. Und Hörakustikmeister Norbert Enste aus Konstanz schilderte, wie Akustiker CI-Träger unterstützen können – von Technikberatung bis zur Bürokratiehilfe. Zu Selbsthilfegruppen pflegt Enste einen regen Kontakt. 250 CI-Träger sind bei ihm in Betreuung. Hochgradig Schwerhörige weist er schon früh in der Beratung auf das CI hin. Aber: Für Messungen, Beratung und das Ausprobieren von Hörsystemen bekomme der Hörakustiker kein Geld. Er plädiert daher für eine Abbruchpauschale.
Zum Abschluss gaben die Gruppen CIAger BaWü̈, DOA Sachsen und DOA Berlin-Brandenburg Einblicke in die Entstehung und den Aufbau neuer Selbsthilfe-Angebote. Rudi Eckmüller stellte das Hör-Wiki (hoer-wiki.tech) vor. Das Online-Nachschlagewerk rund um Hörtechnik wird größtenteils ehrenamtlich erstellt. Dabei achten die Macher auf Qualitätssicherung. 110 Artikel sind mittlerweile online, 50 weitere in Bearbeitung. Sein Appell: „Nutzt das Hör-Wiki und macht es bekannt. “
Fazit
„Genau das zeichnet Selbsthilfe aus: dass wir Leute zusammenbringen für den Erfahrungsaustausch“, sagte Zeh zum Abschluss. Ein großer Dank ging an die vielen Helfer, die die Fachtagung monatelang vorbereitet hatten – größtenteils ehrenamtlich. Die hochkarätigen, motivierten und emotionalen Vorträge zeigten: Die Selbsthilfe lebt – und es gibt noch viel zu tun. An Herzblut und Engagement dazu mangelt es den Teilnehmern der Fachtagung nicht.
Impressionen
Fotos @Oliver Faulstich