Stellungnahme des Deutschen Hörverbandes und seiner Mitglieder, u.a. DCIG und DSB
Ambulante HNO-OPs: Selbsthilfe fordert Neuaufstellung des ambulanten Operierens
Berlin/Freiburg. Seit mittlerweile mehr als neun Monaten befinden sich viele Hals-Nasen-Ohren-Ärzte im Protest gegen die abermals abgesenkten Honorare für ambulante HNO-Kinderoperationen. Dem Berufsverband der HNO-Ärzte zufolge waren die Honorare schon vor der Kostenabsenkung nicht kostendeckend. Konkret geht es um die Mandel- und Mittelohroperationen (Tonsillotomie und Adenotomie mit Paukendrainage). Die Folge: eine dramatische Unterversorgung von (Klein-)Kindern, die eine solche OP benötigen.
Der Deutsche Hörverband (DHV) und seine Mitgliedsverbände, unter anderem die Bundesverbände Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft (DCIG) und Deutscher Schwerhörigenbund (DSB), sehen als Vertreter der Selbsthilfe hörgeschädigter Menschen mit großer Sorge auf die Folgen der Nichtbehandlung betroffener Kinder und fordern eine grundsätzliche Überarbeitung des Systems des ambulanten Operierens:
„Das System des ambulanten Operierens braucht eine grundlegende Überarbeitung. Unter den gegebenen Umständen operieren immer weniger Ärztinnen und Ärzte ambulant – da es einfach nicht kostendeckend ist. So werden beispielsweise Rufbereitschaften (die wegen eventueller Nachblutungen notwendig sind) nach ambulanten HNO-Operationen nicht extra vergütet. Dennoch wird erwartet, dass Ärztinnen und Ärzte diese Leistungen anbieten. Das ist bereits seit Jahren so und hat zur Folge, dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte die Leistung des ambulanten Operierens anbieten. Die jetzt erfolgte Honorarkürzung im Bereich der Mandel- und Mittelohr-OPs verschärft eine ohnehin zugespitzte Situation“, so Dr. Harald Seidler, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Hörverbandes. Zu den konkreten Auswirkungen sagt er:
„Der Versorgungsnotstand muss behoben werden. Kinder mit einem Paukenerguss sind in ihrem Hörvermögen eingeschränkt und hören mitunter sehr schlecht. Das ist gerade in der sensiblen Phase der Sprachentwicklung fatal, weshalb eine frühe Diagnose und Behandlung entscheidend für die weitere Entwicklung sind. Andernfalls bedarf es eines hohen therapeutischen Aufwandes, um den Rückstand aufzuholen. Hinzu kommen vermeidbare psychische Auswirkungen und Verhaltensauffälligkeiten durch fehlende Kommunikationsmöglichkeiten und daraus resultierender Isolation. Die betroffenen Kinder werden durch die langen Wartezeiten in ihrer Entwicklung unnötig zurückgeworfen und Familien stark belastet. Diese Situation ist nicht weiter hinnehmbar.“
Hintergrund:
Im Dezember 2022 wurden die Honorare für ambulante Operationen neu festgelegt. Ausgehandelt wurden diese vom GKV-Spitzenverband (Verband der gesetzlichen Krankenkassen) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Vertretung der ambulant operierenden Ärzte.
Für komplexere Eingriffe (wie zum Beispiel die plastische Korrektur einer Nasenscheidewand) wurden die Honorarsätze leicht erhöht. Um dies zu ermöglichen, wurde jedoch gleichzeitig das Honorar für einen Standardeingriff wie beispielsweise eine Mandel-OP (Adenotomie) abgesenkt.
Der Berufsverband der HNO-Ärzte geht mit dem Beschluss von GKV-Spitzenverband und KBV nicht mit. Die ambulanten Mandel- und Mittelohroperationen seien bereits seit Jahren stark unterfinanziert, da von dem Honorar auch noch OP-Miete, die Sterilisation der Instrumente, Personal sowie die Haftpflichtversicherung des Operateurs und einige weitere Posten bezahlt werden müssten.
Viele Ärztinnen und Ärzte könnten diese Eingriffe daher nicht mehr kostendeckend anbieten, teilt der Verband mit. Die erneute Absenkung der Vergütungshonorare zum 1. Januar 2023 werde als Affront empfunden, heißt es auf der Internetseite des Berufsverbands der HNO-Ärzte weiter.
Nachdem nach ersten mündlichen Protesten keine Änderungen absehbar waren, riefen der Berufsverband der HNO-Ärzte (BVHNO) sowie die Deutsche Gesellschaft HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (DGHNO-KHC) am 16. Januar 2023 zu einer bundesweiten Protestaktion der ambulant operierenden HNO-Ärzte auf. Seitdem werden keine oder kaum neue Termine für Mandel- und Mittelohroperationen (Tonsillotomie und Adenotomie mit Paukendrainage) bei Kindern vergeben.
Der Protest hält bis heute an. Lediglich in Bremen wurde mit einer einzelnen Krankenkasse eine gesonderte Honorarvereinbarung zu den betreffenden Operationen geschlossen.
Die Fronten sind verhärtet. Der GKV-Spitzenverband spricht von einem unethischen Verhalten der HNO-Ärzte und wirft ihnen vor, Geld über die Gesundheit von Kindern zu stellen, um ein höheres Honorar für sich selbst heraus zu handeln. Der HNO-Berufsverband wiederum spricht von einer Desinformationskampagne des GKV-Spitzenverbands und sieht das unethische Handeln aufseiten der Krankenkassen.