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Stellungnahme der DCIG

ZDF-Spielfilm "Du sollst hören": Auch in einem fiktiven Film müssen Fakten zum Cochlea-Implantat richtig dargestellt werden

 

Freiburg. Der Film „Du sollst hören“ basiert auf dem Fall Braunschweig, der damals hohe Wellen geschlagen hat. Ein gehörloses Elternpaar wollte sein ebenfalls gehörloses Kind nicht mit einem Cochlea-Implantat versorgen lassen – was ihr gutes Recht ist. Der Fall hat damals für enorm viel Zündstoff zwischen der Gebärdensprachcommunity auf der einen Seite und CI-Trägern sowie anderen lautsprachlich orientierten Menschen auf der anderen Seite gesorgt, da viel Stimmung gegen das Cochlea-Implantat gemacht wurde.

Oft wurde unter den Tisch gekehrt, dass die Ausgangssituation bei der Entscheidung pro oder contra Cochlea-Implantat bei einer gehörlosen Familie, die rein gebärdensprachlich kommuniziert, eine komplett andere ist, als bei einer hörenden Familie, die rein lautsprachlich kommuniziert. Ebenso bei Menschen, die erst spät ertauben und nie Gebärdensprache gelernt haben und nun für ein Cochlea-Implantat in Frage kommen.

Als die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V. (DCIG) von dem Filmvorhaben erfuhr, haben mehrere Vertreterinnen und Vertreter unseres Selbsthilfeverbandes Kontakt mit dem Produktionsteam des Films aufgenommen und ihre Expertise angeboten. Die DCIG vertritt zahlreiche CI-Träger mit unterschiedlichen Lebenswegen, sowohl spätertaubte CI-Träger als auch von Geburt an taube Menschen aus lautsprachlichen sowie gebärdensprachlichen Familien. Wir haben auf unser großes Netzwerk hingewiesen und hätten den Kontakt zu Ärzten und Radiologen schnell herstellen können. Bedauerlicherweise ist dieses Angebot nicht angenommen worden.

Einige Wochen vor dem Filmstart in der Mediathek konnten wir den Film vorab schon sehen und mussten feststellen, dass teilweise falsche Aussagen über das Cochlea-Implantat getätigt werden. Nach einer erneuten Kontaktaufnahme mit dem ZDF wurde nun auf unsere Kritik hin immerhin eine falsche Aussage (zum MRT) im Film korrigiert und ein Disclaimer vor Beginn des Films eingefügt, der auf die Fiktionalität der Personen und ihrer Aussagen hinweist. Andere Aussagen, die diskussionswürdig sind, sind weiterhin zu sehen. Zu diesen möchten wir hier Stellung nehmen.   

1. Zur Aussage des Anwalts: „Wollen Sie diesem kleinen Mädchen wirklich die Schädeldecke auffräsen lassen? So ein CI benötigt eine zwei Millimeter starke Vertiefung im Schädelknochen. Und wenn der aufgefräst wird, können Bakterien an die Hirnhaut gelangen und so eine Hirnhautentzündung verursachen. […] Die Gefahr einer Meningitis ist sehr real. Diese Operation ist alles andere als eine Routine-OP, vor allem bei so kleinen Kindern“ sind gefährlich, da sie in der entsprechenden Szene nicht weiter eingeordnet werden, sondern ein Szenenwechsel erfolgt.

Die Schädeldecke musste noch nie „aufgefräst“ werden, es gab immer nur einen Schnitt in der Haut und eine minimale Fräsung am Kopfknochen. Heute erfolgt der Eingriff minimal-invasiv mittels eines einzigen kleinen Hautschnittes hinter dem Ohr. Teilweise wird schon roboterassistierte OP-Technik verwendet. Für erfahrene Chirurginnen und Chirurgen handelt es sich sehr wohl um einen Routine-Eingriff. Viele von ihnen haben diese Operation schon hunderte Male durchgeführt. Das Risiko einer Meningitis ist aufgrund der vorher meist durchgeführten (Pneumokokken-)Impfung sehr gering. Vielmehr ist es so, dass eine Meningitis viel häufiger erst der Auslöser einer Ertaubung ist und dadurch eine Cochlea-Implantation erst nötig macht!  Zudem ist das Filmkind, um das es in diesem Fall geht, bereits zwei Jahre alt. Heute wird eine Cochlea-Implantation bei Babys bereits im Alter von sechs Monaten durchgeführt. Dies hat den Hintergrund, dass das Zeitfenster für den Spracherwerb sehr klein ist und somit so früh wie möglich damit begonnen werden sollte.

2. Ebenfalls nicht ganz korrekt ist die Aussage: Alle 15 Jahre muss das CI ausgetauscht werden. Dass das CI irgendwann zu alt ist und seine Funktionen vielleicht teilweise einbüßt und somit eine Reimplantation notwendig wird, ist korrekt. Jedoch ist diese Zeitdauer keinesfalls auf 15 Jahre beschränkt. Viele Patienten wurden bereits in den 1990er Jahren oder noch früher implantiert und tragen noch heute ihr voll funktionsfähiges Cochlea-Implantat. Das erste CI-Kind in Deutschland (Tobias Fischer) wurde bereits 1988 implantiert und sein Implantat funktioniert bis heute noch einwandfrei – seit 34 Jahren!

Auch wenn es sich beim Film „Du sollst hören“ um einen Spielfilm handelt, hätte bei so einem sensiblen Thema gründlicher recherchiert werden müssen. Auch die Entscheidungsfindung im Film muss schließlich, bei aller Fiktionalität, faktenbasiert erfolgen.

Abschließend möchten wir noch betonen, dass die Entscheidung, die das Gericht in diesem Fall gefällt hat, absolut richtig war. Auch die DCIG hat sich damals beim realen „Fall Braunschweig“ dahingehend positioniert, dass eine Implantation niemals gegen den Willen der Eltern erfolgen darf.

Schon jetzt ist zu beobachten, dass der Film wieder für viele Diskussionen sorgt. Darum weisen wir noch einmal darauf hin, dass ein Cochlea-Implantat eine ganz individuelle Entscheidung ist und immer berücksichtigt werden muss, welchen sprachlichen und kulturellen Hintergrund jemand hat.

Wichtig ist in unseren Augen, dass die Familiensprache berücksichtig wird. Das heißt, ein gehörloses Kind gehörloser Eltern hat genauso das Recht auf seine Familiensprache, wie ein gehörloses Kind hörender Eltern, das mit einem CI versorgt wird und die Lautsprache erlernt. Wichtig ist vor allem, dass es eine funktionierende Kommunikation gibt. Ein Cochlea-Implantat und Gebärdensprache schließen sich nicht gegenseitig aus. Das eine kann das andere ergänzen.

 Zur Stellungnahme als PDF.